15. November 2023

Klein, kleiner, Kleinstberuf

In der Schweiz gibt es rund 50 seltene Lehrberufe, sogenannte Kleinstberufe. 24 dieser Berufe sind dem Netzwerk Kleinstberufe angeschlossen. Dieses hilft mit, dass Kleinstberufe eine Zukunft haben. Im Interview gibt Romain Rosset Einblick in die Nischenberufe.
Autor/in: Nadja Böller, Fachspezialistin Kommunikation
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Bild: Romain Rosset, Präsident des Netzwerks Kleinstberufe, und Roman Räss, Weissküfer, vertreten das Netzwerk Kleinstberufe am Stand der Aargauischen Berufsschau

 

Es ist laut und hektisch am Stand des Netzwerks für Kleinstberufe an der Aargauischen Berufsschau im September im Tägi Wettingen. Die vielen Holzschnitzel am Boden zeigen, dass der Stand beliebt zu sein scheint. Ein paar Jugendliche versuchen eifrig, mit einem Schnitzwerkzeug etwas Holz aus einem Block zu schnitzen. Zwei Lernende arbeiten konzentriert an ihren Holzskulpturen. Die Arbeit der lernenden Holzbildhauerin Alexandra Walbrun ist beeindruckend. Sie hat aus Holz eine Frau in einer tänzerischen Bewegung gestaltet. «Selbst Hand anlegen» – Das Motto wird an der Aargauischen Berufsschau an allen Ständen gelebt. Romain Rosset, Präsident des Netzwerks Kleinstberufe, gibt Auskunft.

Wann zählt ein Lehrberuf zu einem Kleinstberuf?

Zu den Kleinstberufen zählen Lehrberufe, bei denen es in der ganzen Schweiz nicht mehr als 15 bis 20 Lehrstellen pro Jahr gibt. Dazu gehören in der Regel traditionsreiche Berufe mit hohem Spezialisierungsgrad, sei es aus dem Handwerk, Kunsthandwerk oder Musikinstrumentenbau. Für einige Berufe gibt es sogar nicht einmal jedes Jahr Lehrstellen.

Was muss man im Besonderen mitbringen, wenn man einen Kleinstberuf ausüben möchte?

Die Anforderungen sind je nach Kleinstberuf sehr unterschiedlich. Grundsätzlich muss man flexibel sein. Die Lehrstelle kann weit weg vom Wohnort sein – das heisst, man muss weit reisen oder sogar umziehen. Dies erfordert ein hohes Mass an Selbstständigkeit und finanziellen Ressourcen. Nicht jeder oder jede will und kann mit 15 Jahren von zu Hause weg.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist Leidenschaft und Kreativität für das Handwerk. Jemand, der ein Musikinstrument spielt, findet leicht den Zugang zum Musikinstrumentenbau. Oder jemand, der bereits eine Lehre als Schreiner absolviert hat, entdeckt die Passion für das Kunsthandwerk mit Holz.

Welche Anforderungen werden an die Lehrbetriebe gestellt?

Lehrbetriebe für Kleinstberufe sind in der Regel Kleinstbetriebe mit einer bis maximal zwei Personen. Berufe wie der Goldschmied sind zum Beispiel sehr beliebt. Die Nachfrage ist gross und wir haben zu wenig Lehrstellen. Goldschmiede und Goldschmiedinnen arbeiten meist in kleinen Ateliers. Oft fehlt dann die Zeit, einen Lernenden oder eine Lernende auszubilden. Darum haben wir ein Projekt gestartet, bei dem sich Betriebe zusammentun. Das Ziel ist es, mehr Leute ausbilden zu können. Gewebegestalter/innn können so z. B. an drei Orten ausgebildet werden. Hierbei werden die einzelnen Betriebe entlastet und die Lernenden profitieren von erweitertem Wissen.

Was sind die Vorteile und Nachteile der Ausübung eines Kleinstberufs?

Ein Nachteil ist, dass man nach der Lehre keine Arbeit haben könnte. Viele eröffnen selbst ein Atelier, dann braucht es aber auch Anerkennung als Künstler/in und nicht nur als Kunsthandwerker/in. Das ist auch das Schöne daran, man hat in diesen Berufen die Möglichkeit, selbständig zu sein, weil man nicht wie z. B. als Schreiner/in Maschinen oder grosse Räume braucht.

Ist der Quereinstieg bei Kleinstberufen möglich? Wenn ja, gibt es viele Quereinsteigende?

Je nach Beruf haben rund ein Drittel der Lernenden vorher eine andere Ausbildung gemacht. Es gibt die Möglichkeit der verkürzten Lehre. Häufig sind es Personen, die in ihrem ersten Beruf noch ein Standbein behalten möchten und nebenbei das Kunsthandwerk ausüben.

Sind Kleinstberufe vom Aussterben bedroht? Oder blühen sie wieder auf?

Das Wort «Aussterben» gefällt mir nicht. Wenn es einen Beruf gar nicht mehr braucht, ist er vielleicht noch im Ballenberg Museum zu sehen. Goldschmied/in ist sicher ein Beruf, von dem man hier in der Schweiz gut leben kann. Man kann sich in einer Firma anstellen lassen oder selbst ein Atelier eröffnen. Es gibt auch gute Weiterbildungsmöglichkeiten. Solange der Winzer in der Schweiz neue Fässer benötigt, braucht es auch Küfer/innen. Sonst kommt das alles bald nur noch aus dem Ausland. Es braucht diese Berufe alle, man muss zu ihnen Sorge tragen und sie fördern. Für Weissküfer/in gibt es nur einen Lehrbetrieb in der Schweiz. Seilbahnmechatroniker/in ist derzeit der grösste Beruf in unserem Netzwerk mit 30 Lehrstellen. Seilbahnen gibt es überall in den Bergen. Hier gibt es gute Entwicklungsmöglichkeiten bis hin zum Geschäftsführer.

Wir legen sehr viel Wert darauf, dass die Lehrbetriebe ihr Wissen weitergeben und das Handwerk erhalten bleibt. Unsere Aufgabe im Netzwerk ist es, Öffentlichkeitsarbeit für diese Berufe zu betreiben. Die Aargauische Berufsschau ist sehr wertvoll. Wir führen intensive Gespräche mit Erwachsenen, Schüler/innen, Berufsberatenden und Lehrpersonen. Oft stellen wir fest, dass viele die seltenen Berufe gar nicht kennen. Unsere Arbeit im Netzwerk ist und bleibt also wichtig, um die Berufsvielfalt in der Schweiz zu fördern und die Anerkennung seltener Berufe zu erhalten.

 

Auf der Website des Netzwerks Kleinstberufe finden sich Beschreibungen zu verschiedenen Kleinstberufen. Wertvoll sind zudem die zahlreichen Filme, die einen Einblick in die Berufe geben.

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